Unser Vorstand: Robert

Der 53-jährige Duftentwickler Robert Kallinger ist Vorsitzender von ThemaTanz e.V, inklusiv Tanzen heißt für ihn, den innersten Kern eines Menschen zum Vorschein zu bringen, um wahre
Begegnung zu ermöglichen.

Der Vorstand Robert

Was ist die Grundidee von ThemaTanz?
Wir wollen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen besonders im kulturellen Bereich. Inklusion wollen wir ganz praktisch umsetzen. Es ist egal, wie ein Mensch ist, ob er eine Behinderung hat, was dessen kultureller Hintergrund ist – all das ist nicht entscheidend. Wir arbeiten gemeinsam an einem Projekt, machen etwas ganz Praktisches. Der Tanz ist der Aufhänger für diese Gemeinsamkeit, für das gemeinsame Tun.

ThemaTanz gibt es schon seit fast fünf Jahren. Was hat sich verändert in eurer Arbeit?
Der Verein hat sich verändert, es geht uns zunehmend auch um gesellschaftspolitische Themen. Wir haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass wir politischer werden wollen, dass wir andere Themen bearbeiten wollen. Es geht heute mehr um die Befähigung – besonders von Menschen mit Lernschwierigkeiten – im politischen Diskurs überhaupt aufzutauchen. Aus der Idee Menschen zusammen zu bringen hat sich ein politischer Auftrag entwickelt.

Die Grundidee ist ja sichtbar machen bei euch. Inklusion durch die Hintertür, als Überraschungsmoment. Ist es schon so weit, dass du glaubst, dass der Tanz ein Vehikel für den politischen Auftrag ist oder ist das noch zu viel gesagt?
Wir sind in diese Richtung unterwegs, aber im Moment wäre mir das noch zu viel gesagt. Ich glaube aber, es kann ein Vehikel werden. Der gemeinsame Geist, der durch das Tanzen entsteht, den wollen wir auch in andere Aktionen und in politische Sichtbarkeit übertragen. Unser Projekt trägt einfach etwas Politisches in sich, ohne dass Politik bewusst eine Rolle spielt. Wir sind der Meinung, dass viele Themen nicht nur in die „Behindertenecke“ gehören. Nehmen wir zum Beispiel die einfache Sprache: diese richtet sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten, ist aber auch wirkungsvoll, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mitzunehmen. Wir stellen immer wieder fest, dass wir uns in einem größeren Kontext bewegen, der politische Bedeutung hat.

Ich würde gern noch einmal auf den Tanz zurückkommen. Warum ist Tanz ein Medium für Inklusion oder dafür besonders geeignet?
Durch Tanz und Bewegung ist es möglich, dass jede:r sich bewegen und einbringen kann, wir machen ja keine Standardtänze. Jede:r kann sich in der ihm oder ihr eigenen Art bewegen und so kommen wir zu einem gemeinsamen Bild und einer gemeinsamen Ästhetik. Zum Beispiel bist du nicht darauf angewiesen laufen zu können, denn jede Bewegung lässt sich in jedes beliebige Körperteil übersetzen. Jeder Mensch kann so in seiner eigenen Art in Bewegung sein, es gibt keine Eintrittshürden. Niemand sagt, du musst mindestens dies oder das durchführen können. Es funktioniert ohne Schwellen. Jeder der dabei ist, entdeckt seine eigenen Möglichkeiten, stellt fest: Ich bin Teil eines Ganzen und habe meinen Part. Es geht nicht um das Erfüllen von Erwartungen.

Jetzt ist das Projekt „ AnMut!“ mit einer bestimmten Idee gestaltet, kannst Du die Grund Idee noch einmal beschreiben? Was hat das Projekt gewonnen und was
hat es verloren durch die Zeit der Corona-Pandemie?
Die Ursprungsidee war, diese Form des Tanzes sichtbar zu machen, öffentlich zu machen. Wir hatten verschiedene Auftritte geplant, um viele Menschen mit inklusiven Themen zu erreichen, die sich nicht in einer beruflichen Fachlichkeit damit beschäftigen. Sozusagen weg von den üblichen Inklusionsveranstaltungen hinein in die Festivals. Es sollte live stattfinden, es sollte Berührung stattfinden, Ästhetik sollte greifbar sein! Das war die Grundidee und dann kam Corona. Das hat uns in diesem Projekt natürlich schwer zugesetzt. Schlagartig war klar, okay, was geplant war, kann nicht stattfinden. Die Frage war natürlich auch: „Wann kann es wieder stattfinden? Kann es überhaupt jemals wieder stattfinden?“ Das hat uns für eine Zeit lang in eine Krise gestürzt. Die Grundlagen des Projekts waren uns genommen. Es war klar, wir müssen ganz neue Ideen finden, wenn wir weitermachen wollen: Live – geht nicht. Proben – geht nicht. Veranstaltungsorte und Probenorte – geschlossen. Abstand, Maskenpflicht. Dazu kam, dass niemand wusste, wie er oder sie mit sich selbst einen Weg findet mit der Bedrohung durch Corona umzugehen. Viele Teilnehmer gehörten ja zu den so genannten „vulnerablen Gruppen“.

Es brauchte ein neues Fundament für das Projekt?
Die Frage war: „Wie können wir uns trotzdem treffen?“. Wir hatten ein wenig Vorerfahrung aus einem anderen Projekt, uns über eine Videoplattform zu treffen. Wir waren uns nicht sicher, ob es klappt, online Tanz zu proben. Außerdem fehlte es an Endgeräte, technische Fähigkeiten bei den Teilnehmenden. Menschen mit Behinderungen wurden in der Pandemie einerseits als vulnerable Gruppe gesehen, andererseits sind sie auch eine Gruppe, die bei Digitalisierung vernachlässigt wird, häufig sehr kleine Einkommen hat und sich technische Geräte nicht leisten kann.

Auch hier also Diskriminierung?
Ja, das war eine große Aufgabe für uns als Verein, hier Digitalisierungskompetenzen nachzuholen, eigentlich gar nicht unser Thema, jetzt aber absolut nötig. Das hat natürlich zusätzlich Aufwand verursacht. Aber es hat geklappt und wir waren selbst überrascht, dass wir das gemeinsam so schnell hinbekommen haben. Vor Corona hätte ich gesagt: „Tanztraining online – auf keinen Fall!“ Mittlerweile bin ich der Meinung: „Ja, es ist möglich“. Es ist nicht das Optimum, aber es ist ein Weg, Dinge zu gestalten und Gemeinschaft zu erhalten. So hatte das Projekt für uns alle einen zusätzlichen Lerneffekt und hat uns – trotz der Belastung – für kommende Projekte neue Ideen und Fähigkeiten beschert.

Aber die größte Herausforderung bestand doch sicher darin, dass ihr nicht Auftreten konntet?
Richtig, unsere größte Sorge war weiterhin ungelöst – „Was machen wir mit den Auftritten?“ Schnell war klar, live wird gar nichts funktionieren. Wir wollten aber unbedingt in die Öffentlichkeit, wir haben ja dafür gearbeitet, sichtbar zu sein. Wir kamen also auf die Idee, einen Film über das Projekt und das Tanzstück, dass im Projekt erarbeitet wurde, zu produzieren. Mit diesem Film rauszugehen, zu digitalen Festivals zu gehen, das war unser neues Ziel. Aber auch der Film bedurfte persönlicher Treffen vor Ort, was sehr lange Zeit nicht möglich war. Dem entspannten Sommer 2020 mit niedrigen Inzidenzen folgte ein schwerer Herbst, der unsere Pläne erneut durcheinanderrüttelte. Distanz und Angst kehrten zurück. Die nächste Bredouille! Termine machen, Termine
verschieben, Termine erneut verschieben, immer wieder der ängstliche Blick auf die Coronazahlen. Das hat uns wirklich Sorge bereitet. Doch das Impfen nahm im Frühling
2021 an Fahrt auf und so konnten wir den Film doch noch umsetzen in dieser verrückten Zeit. Die Teilnehmer:innen sind über diese ganze Zeit bei der Stange geblieben. Und mit dem Film haben wir jetzt etwas in der Hand, dass wir unbegrenzt verbreiten können. Auf beides bin ich sehr stolz.

Das Projekt wurde von der Aktion Mensch gefördert, wie habt ihr die Zusammenarbeit in dieser schwierigen Zeit ohne Planungssicherheit erlebt?
An dieser Stelle ein großes Lob an Aktion Mensch, ich bin sehr dankbar für die Flexibilität, die uns Aktion Mensch ermöglicht hat. Wir konnten das Projektende zweimal nach hinten verschieben, sind auf sehr viel Verständnis gestoßen. Nur so war es uns möglich, ein Ergebnis zu präsentieren. Wir haben Aktion Mensch als einen verlässlichen Partner auf Augenhöhe wahrgenommen, der immer wieder versucht hat, Dinge möglich zu machen. Man steht im Austausch, ist bemüht gemeinsam an einem Strang zu ziehen und das Beste herauszuholen. Und als Partner ernst genommen zu werden hat auch uns gutgetan.

Zum Abschluss würde ich gerne einen Blick auf das Folgeprojekt „ AnMut! geht online! Inklusion braucht Tanz“ werfen. Was könnt ihr aus diesem Projekt mitnehmen an ersten Lernerfahrungen? Was kann Digitalisierung für Inklusion tun und wie wird das im neuen Projekt sichtbar?
Vor Corona war Digitalisierung für uns schwammig und nebulös, jetzt ist das Thema ganz konkret. Wir wissen nun, dass es möglich ist, Tanzprojekte, die eigentlich analog konzipiert waren, auch über Distanz – mit Hilfe digitaler Plattformen – durchzuführen und wie wir auf mögliche Hürden reagieren können. Das Folgeprojekt haben wir dann auch direkt hybrid geplant, weil wir überzeugt sind, dass es funktioniert. Das gibt uns größere Freiheiten in der Planung mit Präsenz- und digitalen Zeiten und ist ein gutes Modell für zukünftige Projekte in unserem Verein. Es ermöglicht, dass noch mehr Menschen daran teilnehmen, auch Menschen mit stark eingeschränkter Mobilität, die sonst nicht vor Ort sein könnten. So gewinnen wir eine noch größere Vielfalt an Menschen, die wir potenziell ansprechen und einbinden können.